Kreta: Minoische Kultur

Kreta: Minoische Kultur
 
Die minoische Kultur, die vorgriechische Kultur Kretas, gilt als die erste europäische Hochkultur. Die Bezeichnung nach dem sagenhaften König Minos verdankt sie dem britischen Archäologen Sir Arthur Evans (1851-1941), der 1899 mit seinen Grabungen auf Kreta begann. Die Geschichte der minoischen Zeit lässt sich nur in groben Zügen rekonstruieren, da die Forschung fast ausschließlich auf archäologisches Material angewiesen ist.
 
Im Neolithikum (bis ca. 2500 v. Chr.) überwog die einfache dörfliche Lebensform einer von Fischern und Bauern geprägten Gesellschaft. Vielfältiger wird das Bild im Verlauf der Bronzezeit (ca. 2500-1200). Evans hat diese Phase der kretischen Geschichte seinen Grabungsergebnissen in Knossos entsprechend in drei Zeitabschnitte, das Früh-, Mittel- und Spätminoikum, eingeteilt. Mit dem Ende des Frühminoikums (ca. 2500-2000) begann der Bau der großen Paläste von Knossos und Phaistos im Zusammenhang mit der Festigung des minoischen Königtums. Das Mittelminoikum I-II (ca. 2000-1700) umfasst die Ära der älteren Paläste bis zu ihrer Zerstörung, die wahrscheinlich durch ein Erdbeben ausgelöst wurde.
 
Die Paläste glichen einander in ihrer Grundform: Verschiedene Gebäudekomplexe, wie Wirtschafts- und Wohnräume, Thronsaal und Badezimmer waren um einen großen Innenhof gruppiert. Vor allem in Knossos blieben Reste herrlicher Wandmalereien und Stuckarbeiten erhalten. Die unbefestigten Paläste dienten zugleich als Wirtschaftszentren, worauf Ölmühlen und verschiedene Werkstätten hinweisen, und als Regierungs- und Repräsentationsräume. Offenkundig ist der Thalassokratie (Seeherrschaft) des mythischen Königs Minos ein historischer Kern zuzusprechen. Eine starke Flotte war auch für den weit reichenden Handel Kretas von Bedeutung; kretische Keramik wurde in Kleinasien, Syrien, Babylon und vor allem in Ägypten nachgewiesen.
 
Dem Wiederaufbau der Paläste im 17. Jahrhundert v. Chr. folgte eine neue kulturelle Blüte (Mittelminoikum III - Spätminoikum II, ca. 1700-1400), in der Knossos eine hegemoniale Rolle spielte. An die Stelle der bisherigen Bilderschrift trat die Linearschrift A in minoischer Sprache; diese ist weder vom Semitischen noch vom Indoeuropäischen ableitbar, sondern als eigenständiges mediterranes Idiom anzusehen und bisher noch nicht entziffert worden.
 
Im 16. Jahrhundert kam es zu ersten, anscheinend zunächst friedlichen Kontakten mit den Mykenern; seit ca. 1450 dominierte dann jedoch das mykenische Element auf Kreta, wie die im Palast von Knossos auf Tontafeln entdeckte Linearschrift B zeigt. Diese als frühgriechischer Dialekt entschlüsselten Texte lassen weder Rückschlüsse auf gesellschaftliche Strukturen noch auf historische Zusammenhänge zu.
 
In der kretischen Religion dominierten das weibliche Element und eine enge Naturverbundenheit, wie es für eine agrarische Gesellschaft nicht untypisch ist: so die Schlangengöttin, die Bergmutter, die Herrin der Tiere. Unverkennbar ist die Verwandtschaft mit der kleinasiatischen Mutter- und Fruchtbarkeitsgöttin Kybele. Analogieschlüsse für den gesellschaftlichen Bereich bezüglich der Rolle der Frau lässt das überlieferte Material jedoch nicht zu.
 
Um 1400 fiel Knossos erneut einem Erdbeben zum Opfer, der Palast wurde nie wieder aufgebaut. Im Spätminoikum III (ca. 1400-1200) begann die mykenische Kultur das minoische Element allmählich ganz zu verdrängen.

Universal-Lexikon. 2012.

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